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Reformpädagogik und Schulbau

"Heute Schulen für morgen bauen heißt bauliche Formen zu finden für ein pädagogisches Konzept, dessen Weg und Ziel noch lange nicht fixiert sind. Die neue Schule wird nur eine Ganztagsschule sein können..." Dieser Satz könnte auch heute geschrieben sein. Er stammt aber aus einer Broschüre zum Schulbau aus dem Jahr 1969. (Entwurf und Planung, Callwey Verlag, München 1969, Seite 7).

Vielfach gerät in Vergessenheit, dass die Reformpädagogik vor über 100 Jahren wichtige Beiträge für moderne Unterrichtsformen gibt. Mit der Bauhausbewegung beteiligten sich viele Architekten an der Erneuerung der erstarrten Unterrichtsformen.

Für kurze Zeit werden alle Entwurfstraditionen in Frage gestellt. Die Inhalte der Bauaufgabe (Schule, Wohnen etc.) werden gründlich erforscht und es wird nach dem besten architektonischen Ausdruck für diese Bauaufgabe gesucht – in funktionaler und in ästhetischer Hinsicht. Der Schüler wird nicht nur als zu "beschulendes" Wesen gesehen, sondern als Subjekt und treibende Kraft von freudigen Endeckungen. Seele und Geist nicht als Dualismus sondern als Einheit. Das hat Folgen für viele Schulbau-Architekturen, die bis in die heutige Zeit nachwirken – besser gesagt nachwirken könnten, wenn man sie nicht nur museal konserviert und goutiert, sondern als Methode praktisch und gegenwartsbezogen anwendet. Aus vielen Gründen wurden die Ansätze der Reformpädagogik und ihre Weiterentwicklung immer wieder verschüttet.

Nach der nationalsozialistischen Ausrichtung der Schulen und nach dem 2. Weltkrieg wurde von einigen Architekten – z.B. Scharoun – an der Reformpädagogik angeknüpft. Nach der totalen Niederlage des Autoritären waren auch Schul-Experimente möglich und mehrere dieser Schulen werden von Schülern und Lehrern auch heute noch freudig angenommen. Besonders bemerkenswert aber im Vergleich zu heute sind nach meiner Meinung die Texte von Scharoun und anderen Architekten, in denen sie sich theoretisch mit den Aufgaben des Schulbaus auseinandersetzen. Der Stil dieser Texte mag uns heute etwas pathetisch anmuten – was sicher auch der Erschütterung durch den Weltkrieg geschuldet ist. Spürbar ist in diesen Texten aber vor allem das Bemühen, die jungen Schüler in ihrem freudigen Entdecken und ihrer Selbstverwirklichung zu stimulieren. Dieser Impetus ist den Gebäuden auch heute noch anzumerken!

Etwas von diesem Impetus war noch bei den Architekten zu spüren, die in Westdeutschland zur Bewältigung der "Bildungskrise" engagiert wurden. Die anfängliche Suche nach neuen Schulformen und nach demokratischen Schuleinrichtungen wurde bald von einer eher technokratischen Bewältigung der "Schülerberge" verdrängt. In Westberlin gipfelten die selbstherrlichen "Theorien" einiger Architekten in der Errichtung von zahlreichen Schulmaschinen, die zur Hälfte wieder abgerissen werden mussten, weil die fensterlosen Klassen sich als unzumutbar herausstellten. Die kurze Zeit der 68iger Architektur zum Schulbau brachte wenige Ergebnisse – sieht man ab von den anregenden späteren Schulbauten wie Büro Behnisch u.a.

Hatten in Westdeutschland und in Westberlin die Bildungskrise z. T. zu Monstern von technokratischen Theorien und Schulgebäuden geführt, so wurde in der DDR der anfängliche Reformelan der 50iger Jahre bald in ein stures Schulrasterprogramm überführt, das bis zum Untergang der DDR 1989 fortgeführt wurde. Mit der Fixierung von Schulbautypen wurde die Architektur und das Ringen um die beste Schulform und den Schulbau ersetzt durch die Frage: wie wird der Musterbau platziert?

In beiden Hälften Deutschlands hinterließen die theoretischen Überlegungen zur Neuen Schule bei der Mehrheit der Architekten einen schlechten Nachgeschmack oder wurden schlicht vergessen. Im westlichen Teil Deutschlands wurde der pragmatische Architekt Vorbild. Die Erinnerung an die eigene Schulzeit war wieder ausreichende Grundlage für die Auffassung von der Aufgabe Schule.

Trotz dieser "Unterbrechungen" gab und gibt es neben dem "Mainstream" der Schulbauarchitektur immer viele einzelne Experimente und Bespiele für reformierte Schulen. So unterschiedlich wie diese Reformansätze, so unterschiedlich sind die Qualitäten dieser Schulbauarchitekturen.

In der Presse werden diese Beispiele z. T. lobend hervorgehoben und stoßen auf große Resonanz, weil viele unzufrieden sind mit den traditionellen Schulen und den sterilen, angeblich modernen Schulgebäuden. In der organisierten Architektenschaft (Kammern usw.) werden einzelne Beispiele lobend hervorgehoben. Es fehlt aber eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Prinzipien reformierter Erziehung und Lernmethoden. Es fehlt eine grundlegende Auseinandersetzung, wie eine lernunterstützende Atmosphäre herzustellen ist. Es fehlt eine Untersuchung, wie die traditionelle Schule mit Frontalunterricht, Fluren und Klassenräumen für die neuen Lernformen verändert werden kann.

In der generalistischen Manier, in den eingeschliffenen Stilübungen und kleinen Stilrevolten vieler Architektinnen und Architekten geht die Beschäftigung mit den Grundfragen der neuen Lehre häufig unter. Nach den fehlgeschlagenen Versuchen der 70iger Jahre, die Schulbau-Architektur wissenschaftlich zu erneuern, dominieren ästhetische Lösungen – oder neue Verpackungen zum alten Schulbaukonzept. Es fehlt häufig die Bemühung zur gründlichen Beobachtung! Schon die Teilname an einem Schultag öffnet viele Augen und erzeugt manchmal viel Verständnis, wie wir aus eigener Erfahrung erfahren haben.

Piaget, ein in Kreisen der Pädagogik und der Sozialwissenschaften sehr bekannter Beobachter hat diese Fähigkeit, genau zu beobachten, zur Perfektion gebracht mit seinen weltberühmten Untersuchungen. Leider sind seine Bücher in Architektenkreisen so gut wie unbekannt, obwohl er zur Genese der Wahrnehmung bei Kindern ein ganzen Werk geschrieben hat (siehe Literaturhinweis unten).

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