english deutsch

Die wichtige Rolle der Partizipation

von Sigmar Gude

Einbeziehung der Nutzer

Die Aufgabe, der sich jeder Planer prinzipiell immer gegenübersieht, für einen zukünftigen Zustand mit nur vage abzusehenden Entwicklungen und Veränderungen Festlegungen treffen zu müssen, definiert auch sein Verhältnis zu dem künftigen Nutzer. Der Nutzer ist nämlich nicht primär Konsument des Raumangebots, das der Architekt festgelegt hat, sondern er gestaltet durch seine Nutzung den angeboten Raum erst aus und bringt dadurch die Gestaltung zu Ende. Damit wird aber auch klar, dass diese letzte Gestaltungsphase mit den ursprünglichen Gestaltungsideen nicht immer konform gehen muss und tatsächlich oft nicht konform geht, sondern der Nutzer den Raum nach eigenen Vorstellungen verwendet. Dass derartige, unabgestimmte Aneignungen durch den Nutzer allzu oft eine schlechte Nutzungsrealität hervorrufen, ist ebenfalls zwangsläufig. Wäre es anders, würde man ja keine Planung benötigen. Die Einbeziehung des Nutzers ist daher eigentlich unabdingbar und es ist auch kein ausreichendes Argument dagegen, dass oft nicht einmal der Nutzer direkt nach Fertigstellung des Gebäudes bekannt ist, geschweige denn diejenigen über die gesamte Nutzungsdauer eines Gebäudes. Damit Entwurf und Nutzung zusammenpassen, muss der Architekt immer die Interessen der Nutzer in den Mittelpunkt seines Entwurfes stellen, auch und gerade, wenn er sie nicht genau kennt. Was läge da näher, als den Nutzer nicht nur gedanklich, sondern ihn direkt in den Entwurfsprozess einzubeziehen, indem zukünftige – oder auch potentielle – Nutzer beteiligt werden.
Dass dies nur selten geschieht, hängt häufig mit dem Selbstverständnis des Architekten als "Creator" zusammen, der glaubt, er selbst könne die Realität besser erschaffen, als es der einfache Mann könne. So kommt es dann zu dem, was die Nutzer Fehlplanung nennen, und wo der Architekt das mangelnde Verständnis des Nutzers für seinen "wegweisenden" Entwurf beklagt. Schon im normalen Alltag sind solche Ergebnisse Verschwendung menschlicher und materieller Ressourcen, die vermieden werden sollten. Bei den Bauten für die Bildung, die für die Zukunft jedes einzelnen Heranwachsenden und der Gesellschaft von wachsender Bedeutung sind, sollten derartige Fehlplanungen vermieden werden, wie sie ja ohne Zweifel die Mittelstufenzentren der siebziger Jahren in Berlin (W) waren, wo mit großem Wurf eine zukünftige Schulwelt erschaffen wurde, die weder der Bildungsrealität noch den Nutzern – Schüler wie Lehrern – gerecht wurde. Das intensive Einbeziehen der Nutzer, auch das intensive Forschen über die Rolle des Raumes in der Schule, sollte daher selbstverständlich sein.

Partizipation ist ein Prozess

Das bedeutet nun zweifelsohne nicht, dass damit jede zukünftige Fehlplanung ausgeschlossen sein würde. Schon gar nicht, wenn das gemeinsame Planen, Gestalten und Nutzen nicht geübt und gelernt wird. Schüler und Lehrer sind genauso wenig Bauplaner, die Pläne und selbst Modelle oder Videoanimationen sofort verstehen, wie Architekten Pädagogen oder Didaktiker sind. Es reicht also nicht aus, Gespräche zwischen Planern und Nutzern zu führen, eine Befragung mit Fragebögen zu initiieren, sondern es muss ein gemeinsamer Prozess in Gang gesetzt werden, der von der ersten Planung bis zur Praxis in der fertigen Schule reichen muss. Es ist zudem bei diesem Prozess sinnvoll, Mediatoren einzusetzen, die beiden Seiten helfen, die Sprache und die Gedankenwelt des jeweils anderen zu verstehen und zu interpretieren. Das können Sozialwissenschaftler sein, die es gewohnt sind, bei Befragungen nicht nur die offensichtlichen Inhalte zu erfassen, sondern auch tiefer liegende Motivationen, Wünsche und auch Abwehrhaltungen und Ängste zu analysieren und in die offene Diskussion zu heben. Dazu sollten sie natürlich auch so viel Einblick in die Seite des Planers haben, dass sie seine Zwänge und seine Denk- und Arbeitsweise kennen.

Eine Aufgabenstellung wie sie für die Regine–Hildebrandt–Schule dezidiert genannt wurde, ein Schulgebäude für das "Lernen von Morgen" zu entwickeln, erfordert einen solchen Prozess. Wie dies neue Lernen nämlich aussehen wird oder soll, darüber herrscht ja keineswegs Einigkeit, weder bei Politikern, den praktizierenden oder den forschenden Pädagogen, noch bei Eltern oder Schülern. Die Aufgabe für das Planungsteam besteht also darin, sich zum einen die zukünftige Schulpraxis vorzustellen und zum anderen dafür Raumideen zu entwickeln, von denen es annehmen konnte, dass dies Räume sowohl funktionell als auch atmosphärisch den Anforderungen einer sich wandelnden Schulpraxis gerecht werden würde. Dies ist dann das Material für den gemeinsamen Abstimmungsprozess für das zukünftige Gebäude.
An dieser Stelle trifft der Planer auf ein weiteres Problem. Wenn man etwas völlig neues Planen und Bauen will, muss man die die Nutzer, die ja noch das Alte gewohnt sind und dem Neuen möglicherweise skeptisch gegenüberstehen, auf diese Reise von Anfang an mitnehmen und sie möglichst viel des Weges alleine zurücklegen lassen. Konkret bedeutet das, den Nutzer von Anfang an in die Zieldiskussion und -bestimmung einzubeziehen, aber auch das Gebäude nicht derartig starr festzulegen, dass eine Aneignung und Weiterentwicklung nicht mehr möglich ist.
Die zukünftigen Nutzer sollten daher im Vorfeld des Planungsprozesses in zweierlei Weise einbezogen werden. Erstens, als Studienobjekt zu den sich verändernden Bedingungen und Entwicklungen im Schulalltag und zum zweiten, um Anregungen und Wünsche der Nutzer zu erheben, sozusagen als Ersatz für eine umfassende Partizipation, die bei derartigen Bauplanungen nicht vorgesehen sind.
Neben der reinen Analyse, die die Nutzer ja im wesentlichen als passive Untersuchungsobjekte behandelt wird ihnen dadurch eine aktive Rolle gegeben, dass in dieser Planungsphase eine Diskussion zu zukünftigen Lernformen und zur räumlichen und ästhetischen Konzeption des neuen Gebäudes in Gang gesetzt wird. Die Nutzer sollen ja gerade nicht als "unbeschriebenes, leeres Blatt" befragt werden, sondern sie sollten sich schon so weit es möglich ist, mit den anstehenden Fragen auseinandergesetzt haben. Nur dann kann ein Prozess des voneinander Lernens in Gang gesetzt werden, in dem der Architekt dann Nutzungs- und Gestaltungsvorschläge machen kann, deren Praxistauglichkeit gemeinsam diskutiert werden kann. Die Realität der Planung an der Regine–Hildebrandt–Schule hat diesem weitgehenden Modell nur in Ansätzen entsprochen, vor allem, weil die dafür notwendige Zeit und Muße nicht gegeben war. Es ist aber ein Ansatz gemacht worden der an anderer Stelle fortgesetzt werden sollte. Fortgesetzt sollten aber auch das Nachdenken über den Zusammenhang zwischen den räumlichen Gegebenheiten und dem Lernen, das in der Forschungslandschaft eine bisher vernachlässigte, wenn nicht sogar klägliche Rolle spielt.

Fromme + Linsenhoff ©2012 | Kontakt | Impressum

frommelinsenhoff@yahoo.com